Muslimische Friedensrichter zwischen Scharia und deutschem Rechtsstaat
Ihre Bezeichnung klingt ehrbar: Friedensrichter. Sie sollen Kompromisse zwischen Opfern und Tätern herbeiführen. Doch ihre Arbeit in muslimisch geprägten Stadtvierteln in Deutschland ist umstritten. Kritiker, wie Buchautor und Jurist Joachim Wagner, werfen ihnen vor, gegen die deutsche Justiz zu arbeiten. Joachim Wagner hat sich in ein Milieu begeben, das für die meisten Menschen im Verborgenen liegt: Er hat drei muslimische Friedensrichter interviewt und ihre Arbeit in kleinen Porträts beschrieben. Vor allem aber hat er mit Polizisten, Staatsanwälten, Verteidigern und Richtern geredet und hat Ermittlungsakten eingesehen.
So öffnet er dem Leser eine parallele Welt, in der eine Rechtsauffassung Bedeutung hat, die sich von Deutschen Gesetzen grundlegend unterscheidet.
Ein Beispiel aus Berlin Neukölln: Fuat S. ist Mitglied einer großen arabischen Familie. Er ist spielsüchtig und leiht sich ständig Geld. Auf 150.000 Euro belaufen sich seine Schulden bei Mustafa O. Einem 16-fach vorbestraften Mann, der gerade auf Bewährung in Freiheit ist.Einem Araber, dessen Clan in dem Ruf steht, sich die familiären Hartz IV-Bezüge mit Schutzgelderpressung, Zuhälterei und Drogenhandel aufzustocken.
Richter ohne Gesetz: Islamische Paralleljustiz gefährdet unseren Rechtsstaat, Joachim Wagner, Gebundene Ausgabe: 240 Seiten, Verlag: Econ, ISBN-10: 3430201276
Als die Zurückzahlung des Darlehens ausbleibt, wird Fuat S. in die Mangel genommen. Mustafa O. und seine Brüder schlagen den säumigen Zahler zusammen. Mit zertrümmerten Händen und Knien kommt Fuat S. ins Krankenhaus. "Dort sagt der Mann vor der Polizei aus und belastet dabei im Wesentlichen Mustafa O.", sagt Buchautor Joachim Wagner. Doch dann sei das Stammesrecht auf den Plan getreten.
"In derselben Nacht wurde ein Friedensrichter namens Allouche hier in Berlin eingeschaltet, und der hat dann mit beiden Familien in mehreren Treffen verhandelt, und dann ist man zu dem Ergebnis gekommen, dass man zwischen beiden Familien Frieden schließen muss."
Der Einsatz des Friedensrichters hatte Konsequenzen für das spätere Gerichtsverfahren gegen die drei Brüder O. Mit der Begründung, er habe bei seiner ersten, belastenden Aussage gegen Mustafa O. vielleicht das Falsche gesagt, machte Fuat S. im Prozess vor der Strafkammer plötzlich von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch.
"Und das hatte zur Folge, dass der Haupttäter freigesprochen wurde und der fast nicht vorbestrafte jüngere Bruder, der eigentlich sozusagen die Nebenrolle ausgeübt hat nach den ersten Aussagen, eine ganz geringe Strafe bekam; und da sagte mir der zuständige Staatsanwalt, dass in diesem Prozess gelogen wurde, bis dass sich die Balken biegen."
Nach Recherchen von Joachim Wagner hatte der arabische Streitschlichter ein Friedensabkommen mit den beiden Parteien geschlossen. Die Vereinbarung besagte: Die Familie des Opfers verpflichtet sich, die 150.000 Euro zurückzuzahlen - abzüglich eines satten Schmerzensgeldes für Fuat S. Im Gegenzug hat dieser vor Gericht mit einer Falschaussage zu verhindern, dass Mustafa O. in den Knast wandert. Und genauso kam es.
"Wenn man das Urteil liest, hat man den Eindruck, dass es ein Verzweiflungsurteil ist. Denn die Richterin stützt sich auf die Einlassungen des jüngeren Bruders, obwohl die Handy-Daten das genaue Gegenteil beweisen, also: Das ist ein Urteil, was irgendjemanden verurteilen will, aber alle wissen, dass sie vermutlich den Falschen verurteilt haben."
Anhand von vielen anschaulichen Fallbeispielen beschreibt Joachim Wagner, wie durch den Einsatz von Friedensrichtern Elemente der Scharia und des traditionellen Stammesrechts den deutschen Rechtsstaat behindern können. Und er zeichnet die Abläufe der Streitschlichtung nach. Von der Kontaktaufnahme über die Verhandlung bis hin zum Friedensabkommen, das Täter- und Opferfamilie unterschreiben müssen.
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