Es bleibt eine verlockende Idee: eine tolerante Gesellschaft, in der Völker mit verschiedenen Sitten, Sprachen und Religionen friedlich zusammenleben. Gerade in unserer Zeit hat sie eine außerordentliche Anziehungskraft.
Dabei herrscht die weit verbreitete Vorstellung, daß sich im mittelalterlichen Spanien eine solche geradezu ideale multikulturelle und gemischtreligiöse Gesellschaft herausgebildet habe, in der drei Kulturen - die christliche, die muslimische und die jüdische - in relativer Harmonie zusammenlebten. Dort habe es, anders als im homogenen und monolithischen christlichen Europa nördlich der Pyrenäen, Toleranz und Verständnis füreinander gegeben.
Nicht wenige Politiker und Intellektuelle sehen darin ein Modell, um den wachsenden Problemen der Integration von Einwanderern aus anderen Kulturkreisen zu begegnen. Obwohl es Ansätze dafür auch in den christlichen spanischen Reichen gegeben hat, glaubt man dieses geradezu idyllische Profil vor allem im muslimischen Andalusien vorzufinden. Doch diese Vorstellung einer Gesellschaft dreier verschiedener, sich gegenseitig respektierender Kulturen ist ein Mythos oder ein Gemeinplatz, der nicht der historischen Realität entspricht.
Auf den ersten Blick deutet manches im mittelalterlichen Spanien tatsächlich auf eine "convivencia" zwischen den verschiedenen religiösen Gruppen. Die politische Struktur im muslimischen Spanien ermöglichte es Christen und Juden, ihre Identität auch unter muslimischer Herrschaft zu bewahren.
Eine gewisse Teilhabe der Unterworfenen an den Geschicken des Landes innerhalb der muslimischen Verwaltung war weiterhin möglich. Diese Haltung gegenüber den religiösen Minderheiten basierte auf dem Koran, der Muslimen vorschreibt, die Mitglieder der monotheistischen Religionen zu respektieren. Christen und Juden galten somit als geschützte Minderheiten, als sogenannte "dhimmis".
Der politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Status der Christen und der Juden in al-Andalus war aber dennoch von Ausgrenzung und Minderwertigkeit geprägt. Entscheidende Positionen - beispielsweise Führungsaufgaben im Heer oder in der politischen Administration - blieben Christen und Juden verwehrt. Wenn gegen diese Regel verstoßen wurde, kam es mitunter zu Protesten der muslimischen Bevölkerung, die zur Absetzung, manchmal sogar zum Tod des Emporkömmlings führen konnten. Insbesondere das Steuerrecht spiegelte die gesellschaftliche Benachteiligung wider: Christen und Juden zahlten spezifische Steuern -eine Individualsteuer, und eine Grundsteuer -die sehr viel drückender waren als diejenigen Steuern, die den Muslimen auferlegt waren.
Hinzu kamen allerlei Herabsetzungen und Schikanen. So war es den christlichen und jüdischen Gemeinden verboten, ihre Religion öffentlich sichtbar auszuüben z.B. durch das Schlagen der Glocken und das Abhalten von Prozessionen oder durch den Bau neuer Gotteshäuser. Strikt verboten war ihnen, ihre Ansichten über Religion öffentlich zu äußern. Kleidervorschriften dienten dazu, die "dhimmis" in der Öffentlichkeit eindeutig von den Muslimen zu unterscheiden.
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Unklar ist, ob diese Bestimmungen in der Zeit des Kalifats (929-1031) durchgesetzt wurden. Doch für das 12. Jahrhundert ist belegt, daß Christen und Juden einen Gürtel, den sogenannten "zunnar", tragen mußten, während den Juden im islamischen Granada eine gelbe Mütze oder eine andere gelbe Kennzeichnung sowie besondere Kleidung vorgeschrieben war.
Jede auch nur äußerliche Unterordnung eines Muslimen gegenüber einem Christen oder Juden war verboten, wie sich auch Christen und Juden keinerlei Zeichen eines höheren Ranges wie z.B. Waffentragen oder auf einem Pferd Reiten anmaßen durften.
Ehen zwischen muslimischen Männern und christlichen Frauen waren erlaubt, aber die Kinder dieser Verbindung galten als Muslime.
Umgekehrt war die Ehe zwischen einem christlichen Mann und einer muslimische Frau untersagt. Es ließen sich weitere Beispiele für diskriminierende Sanktionen und entehrende Bilder aufzählen - manchmal wurden Christen und Juden etwa mit Aussätzigen verglichen.
Auch wenn viele dieser diskriminierenden Gesetze nicht strikt befolgt wurden: Die pure Existenz dieser Vorschriften zeugt von einem grundsätzlichen Mißtrauen, von Geringschätzung, Feindseligkeit und Vorurteil der Muslime gegenüber dem "Anderen".
Während der Herrschaft der nordafrikanischen Almoraviden und Almohaden über das muslimische Spanien im 11. und 12. Jahrhundert mündete diese Grundhaltung sogar in Zwangsbekehrungen, in Deportationen und in massenhaften Emigrationen in das christliche Spanien.
Als weiteres Argument für die Vorstellung, daß es im mittelalterlichen Spanien eine tolerante und offene Gesellschaft gegeben habe, gelten die Kulturleistungen. Zwischen iberischen Christen und Muslimen, und in geringerem Umfang zwischen diesen und der jüdischen Bevölkerung hat es einen intensiven kulturellen Austausch gegeben.
Dazu gehören der fruchtbare Einfluß des Arabischen auf die kastilische Sprache sowie der Einfluß der islamischen Kunst auf die christliche, der zu einer eigenen Kunstrichtung führte, dem sogenannten "Mudejar-Stil". Doch es ist ein Irrtum, kulturellen Austausch mit "convivencia" und Toleranz gleichzusetzen.
Gleichheit oder Respekt sind dafür keine zwingende Voraussetzung. Die Herrschaft einer Gemeinschaft über eine andere, Marginalisierung, Intoleranz oder sogar Verfolgung und Versklavung einer Gruppe waren niemals ein Hindernis für kulturellen Austausch.
Ähnlich verhält es sich mit den Institutionen, die im mittelalterlichen Spanien einer friedlichen Lösung von Konflikten zwischen den Nachbarn verschiedener Religion auf beiden Seiten der Grenze dienten. Denn wir dürfen nicht die wahre Natur der Beziehungen verkennen, die jene Institutionen zu normalisieren versuchten:
Wenn es friedliche Vermittlungsinstanzen gab, dann eben deshalb, weil Aggression, Raub, Verschleppung und Versklavung sowie Mordtaten an der Tagesordnung waren. Von daher erscheinen jene Institutionen viel weniger ein Argument für die Existenz guter nachbarschaftlicher Beziehungen, als vielmehr für die gewalttätige Natur der Beziehungen, die sie zu regeln versuchten.
Zwar sind nur wenige offizielle, von den Herrschern erklärte Kriege überliefert. Aber es gab immer wieder militärische Kampagnen zur systematischen Zerstörung und Verwüstung ganzer Landstriche, mit denen die spätere Eroberung von Städten und Befestigungen vorbereitetet wurde.
Dies war kein offener Krieg, aber ein dauerhafter Zustand von Gewalt, der ohne Zweifel dazu beitrug, den Groll und den Haß zwischen den Parteien zu vertiefen. Sicherlich war nicht alles zwischen Muslimen und Christen von Konfrontation geprägt, und die friedlichen Beziehungen zwischen den Religionsgemeinschaften hatten ein spezifisches Gewicht. Aber man darf ihre Bedeutung nicht idealisieren.
Nicht zuletzt waren die Weltanschauungen, die auf beiden Seiten den kriegerischen Zusammenprall rechtfertigten und belebten - der Djihad auf der islamischen und der "Heilige Krieg" oder die "Reconquista" auf der christlichen Seite - totalitäre Konzeptionen, die darauf angelegt waren, den Feind zu zerstören und nicht darauf, mit ihm zu paktieren oder zusammenzuleben.
Die militärischen Unternehmungen des cordobesischen Herrschers Almanzor im 10. Jahrhundert oder die Djihad-Expeditionen der fundamentalistischen Almoraviden und Almohaden im 12. Jahrhundert gegen die christlichen Gebiete waren eine Entsprechung zu den Kreuzzügen der Christen in ihrem Kampf gegen den Islam.
Aus alledem läßt sich schließen, daß die Beziehungen zwischen Christen, Muslimen und Juden in ihrer Gesamtheit kaum von Toleranz zeugen, zumindest nicht im Sinne des Verständnisses, das wir heutzutage von diesen Konzepten haben.
Unbestreitbar hat es kulturelle Anleihen und Einflüsse und friedliche wirtschaftliche Beziehungen gegeben, aber keine Beziehungen auf der Basis von Gleichheit und voller Akzeptanz der Unterschiede. Die Koexistenz verschiedener Gemeinschaften war relativ, denn zugleich wurden die persönlichen, familiären und politischen Kontakte zwischen den einen und den anderen behindert oder sogar verhindert.
Vor diesem Hintergrund wirkt die idyllische Vorstellung eines muslimischen Spaniens als Treffpunkt dreier Kulturen eher wie die Antwort auf ein aktuelles Bedürfnis. Die Modelle für interkulturelle Beziehungen, die unsere Gesellschaft benötigt, sollten nicht im Mittelalter gesucht werden. Denn was man dort findet, ist die Kehrseite: eine Politik der Ausgrenzung, die schließlich in Gewalt und Vertreibung mündete.
Der Autor lehrt Mittelalterliche Geschichte an der Universität von Extremadura in Cáceres. (Übersetzung: Alexander Bronisch)
Der spanische Historiker Francisco Garcia Fitz lehrt Mittelalterliche Geschichte an der Universität von Extremadura in Cáceres.
GARCÍA FITZ, Francisco
Universidad de Extremadura
Facultad de Filosofía y Letras
Departamento de Historia
Avenida de la Universidad s/nPlaza de Caldereros
10004 - Cáceres
mail: fgfitz@unex.es
Universidad de Extremadura
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Departamento de Historia
Avenida de la Universidad s/nPlaza de Caldereros
10004 - Cáceres
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